Ist Blasen Standard?

von Michael Wolf

Heidelberg, 26. April 2018. Im Waschbecken trocknet ein Schwamm. In der Ecke liegt ein Kreidestummel. Neben der Tafel hängt der Stundenplan: Heute hatten die Schüler eine Doppelstunde "Reli". Jetzt ist es Abend und Festivalbesucher setzen sich an ihre Tische. Im Rahmenprogramm des Stückemarkts präsentiert das Theater Heidelberg die Klassenzimmerproduktion "M.I.L.F. (Marvin is like a frog)" von Daniel Ratthei.

Pornos, saufen, kiffen

Der Autor ist ein alter Bekannter. Im letzten Jahr lief sein Text Der Goldene Ronny im Wettbewerb um den JugendStückePreis: eine rasante, sehr witzige und zugleich traurige Geschichte um Mobbing und erste Liebe.

Ratthei ist selbst Schauspieler, Pädagogik ist nicht sein Fach. Vielleicht ist er gerade deswegen ein so guter Autor für Jugendstücke. Der Goldene Ronny wollte durchaus eine Botschaft rüberbringen Publikum, ließ den Zeigefinger aber dankenswerterweise stecken.

So auch bei M.I.L.F. Der 15-jährige Marvin schaut am liebsten Pornos, säuft, kifft und nascht auch mal MDMA. Schlimm ist das alles in diesem Stück nicht. Nur lenken Drogen und Pornos eben von dem ab, was wirklich zählt: die Liebe. Auf der Flucht vor einem Fahrkartenkontrolleur lernt Marvin das Mädchen Michelle kennen. Sie küssen sich, er lädt sie zu seiner Geburtstagsfeier ein, soweit so gut.

MILF 18 SRStefan Wunder als Marvin © Susanne Reichardt

Beim Petting aber rächt sich Marvins Unerfahrenheit. Er ist grob, beißt Michelle in die Brustwarze. In Pornos stöhnen die Frauen bei sowas. Michelle hingegen findet's nicht so geil und das könnte schon das Ende sein. Ist es aber nicht. Marvin lernt seine Lektion: Pornos bereiten nicht auf Sex vor. Anders als beim "Goldenen Ronny" im letzten Jahr gibt’s hier sogar ein Happy End. Ein richtig romantisches gar, das so gar nicht zu der Macker-Pose passt, die Marvin sich von Youporn abgeguckt hat.

Unsicher, unerfahren, verliebt

Andreas Weinmanns Inszenierung des Stücks spielt gekonnt Rattheis Witz aus. Etwa, wenn der Junge erzählt, wie er beim unauffälligen Kondom-Kauf scheiterte. "So schnell konnte die Kassiererin gar nicht gucken, wie ich die Kondome in das Fach bei den Batterien reinstopfte. Da stand ich dann draußen vor Rossmann mit AirWaves und Honigwaffeln." Passend dazu ist Stefan Wunders Spiel sehr offensiv. Die meiste Zeit verbringt er inmitten der Tischreihen, spielt bei jeder Gelegenheit Zuschauer an. "So ein Arschfick muss schon sein, oder? Und Blasen sowieso, das ist doch Standard?"

Blitzschnell wechselt Blume zwischen dem Marvin, wie er gesehen werden will – als Checker, als Frauenheld, als Stecher – und dem Marvin, wie er ist: unsicher, unerfahren, verliebt. Das ist die große Leistung dieses Aufführung: Sie gibt Jugendlichen die Möglichkeit, die eigene Unsicherheit an jemand anderem zu erkennen. So bleiben sie, wie auch Marvin, am Ende nicht allein.

 

M.I.L.F. (Marvin is like a frog)
von Daniel Ratthei
Regie: Andreas Weinmann, Dramaturgie: Viktoria Klawitter.
Mit: Stefan Wunder.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theaterheidelberg.de