Happiness in Deutschland
von Michael Wolf
Heidelberg, 27. April 2018. Idealerweise bekommt man seine Staatsbürgerschaft zum allerersten Geburtstag. In Ardas Falle ist es der achtzehnte. "Niemals verlieren", sagt der Beamte und reicht ihm eine Einbürgerungsurkunde. "Die gibt es kein zweites Mal." Endlich ist Arda Deutscher. Es war ein langer Weg. Gar nicht so leicht zu sagen, wann er begann.
Spurensuche
Necati Öziris am Maxim Gorki Berlin produziertes Stück "get deutsch or die tryin'" ist eine Spurensuche in der Vergangenheit von Ardas Eltern. Und zugleich eine unbekannte Geschichte Deutschlands. Die Zeitebenen springen durcheinander, aber nach und nach legt Sebastian Nüblings Ensemble die Handlung frei: Nicht nur die Bürokratie war schuld an Ardas staatsbürgerlichem Makel. Er hat kein Vaterland, weil er keinen Vater hat. 
Hochzeit wie im Varieté feierten die Eltern, da gibt es noch die Hoffnung auf ein kleines, schönes Glück: "get deutsch or die tryin'"
© Ute Langkafel
Der war vor Ardas Geburt Mitglied einer linken Terrorgruppe. Ein Anschlag geht schief, er flieht vor seiner Haftstrafe nach Deutschland, wo er eine Familie gründet. Hier könnte schon das Happy End stehen. "Happiness", singt Aram Tafreshian auch immer wieder anlasslos Richtung Publikum. Aber das Glück findet Murat nicht. In der Türkei hat er Ingenieurswesen studiert, in Deutschland weidet er Rinder aus. Er verlässt die Familie kurz vor Ardas Geburt. Lieber will er in der Türkei seine Haftstrafe antreten, als sein Leben im kalten Exil zu verbringen.
Dealer, Herumtreiber, frisch gebackener Deutscher
Dimitrij Schaad führt im violetten Anzug als eine Art Moderator durch den Abend. Er ist Arda, der endlich verstehen will, wie er der geworden ist, der er ist: Dealer, Herumtreiber, frisch gebackener Deutscher. Konsequent lässt Nübling seine Eltern von Schauspielern mit türkischer Abstammung spielen: ınar Erincin gibt die junge Mutter als lebenslustiges Mädchen und wankt später als Alkoholikerin über die Bühne. Taner Şahintürks Murat ist zunächst ein prolliges Großmaul, zerbricht aber bald an der Perspektivlosigkeit im kalten Deutschland.
Der Sohn, Dimitrij Schaad, zweiter von limks, erzählt nun ihre Geschichte © Ute Langkafel
Der Rest des Ensembles schlüpft en passant in kleine Rollen, ist aber vor allem für Bilder und Choreographie zuständig. Im Stile einer Revue tanzen sie immer wieder über die sparsam eingerichtete Bühne. Drei Portale hintereinander, am Ende des letzten Raums gähnt die Dunkelheit; Kühlschrank, Heizkörper, eine Diskokugel, im Zentrum ein Drum-Set, an dem Almut Lustig den Text der Spieler unvermittelt mit harten, treibenden Schlagfolgen übertönt. Das passt!
Sebastian Nübling ist ein Rhyhtmusexperte. Einzelne Szenen loopt das Ensemble immer wieder: Etwa, wenn Ardas Mutter den Kühlschrank aufreißt und sich am Wodka bedient. Zur Hochzeit von Ardas Eltern schwingen sie alle in glitzernden Kostümen das Tanzbein. Der Stil erinnert an ein ARD-Fernsehballett.
Gar nicht so kleiner Teil
Die Botschaft kommt an. Während Ardas Familie zerbrach, saßen die Deutschen mit Eierlikör vor der Glotze. Aber damit sollte nun Schluss ein. Nimmt man Menschen auf, muss man sich auch mit ihrer Geschichte auseinandersetzen, müssen ihre Geschichten Teil der deutschen Geschichte werden. "get deutsch or die tryin' erweist sich letztlich weder als Mileustück, noch als Sozialdrama. Es ist eine historische Expedition in einen gar nicht so kleinen Teil Deutschlands, ein immer noch weithin unerschlossenes Gebiet. Öziri lädt uns ein, es zu erkunden. Wir sollten ihm folgen.
get deutsch or die tryin'
von Necati Öziri
Regie: Sebastian Nübling, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Pascale Mar tin, Musik: Lars Wittershagen, Licht : Hans Fründt, Dramaturgie: L udwig Haugk.
Mit: Saro Emirze, ınar Erincin, Almut Lustig, Taner Şahintürk, Dimitrij Schaad, Aram Tafreshian, Linda Vaher.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.gorki.de