Was tun?

von Simone Kaempf

Heidelberg, 22. April 2018. Pussy Riot ist eines der Phänomene, die man zu kennen glaubt. Und von denen man, Hand aufs Herz, eigentlich wenig weiß. Nicht, wie etwa Nadeschda Tolokonnikowa wirklich die Schikanen im Arbeitslager überstand. Auch nicht, dass Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale alle Anfang zwanzig Jahre alt sind, fast noch Jugendliche, Mädels jedenfalls. Freundinnen, die zusammenhocken und sich gemeinsam daran berauschen, dass sie mit ihren Aktionen "endlich etwas tun".

Halbe Girlies, halbe Punks

Um einiges klüger kommt man aus Magz Barrawassers Abend "Pussy Riots". Das ist als Kompliment gemeint, und doch auch überraschend. Weil die Inszenierung Details bietet und rekonstruiert, was die russischen Aktivistinnen im Februar 2012 zu ihrem Punkgebet bewegt hat, ohne je überkonkret zu werden. Weil es hier nicht wirklich Antworten gibt auf die wiederkehrenden bohrenden Fragen, die der Abend auch stellt: Wofür lässt man den Kaffee stehen? Was tun? Was brauchts, um sich für seine Ideale einzusetzen? Aber anklägerisch wird es nie. Im Gegenteil lässt der Abend eher Luft raus, umschifft den leisesten Verdacht, dass es nur ums schlechte Gewissen oder ums bloße Nachspielen des Pussy Riots Mythos geht.

PussyRiots2 700 Diana Kuester uHalb Girlies, halb Punks: Katharina Leonore Goebel, Jaëla Carlina Probst, Silvia Weiskopf © Diana Küster

Die Inszenierung wächst im Laufe des Abends. Die Text- und Spielschnipsel fügen sich zu einem glaubhaften und bunten Generationenporträt. Eine angenehme Überraschung, weil alles erstmal etwas grob-geschnitzt und pubertätshaft auf einer Sperrholzbühne beginnt. Die Schauspielerinnen Katharina Leonore Goebel, Jaëla Carlina Probst und Silvia Weiskopf stülpen sich bunte Sturmhauben über Köpfe, schrammeln auf ihren Gitarren und erzählen los: 40 Sekunden Auftritt, Punkgebet, der Ort, die Kirche wohlwissend gewählt. Mädchen sind sie, halbe Girlies in zusammengewürfelten Klamotten, halb Punks mit gefärbten Haaren.

Auftritt: der personifizierte Feminismus

Dann schneller Wechsel in den Typus Kunststudentin, diskurs-geschult auf Kissen liegend. Oder charme-offensiv mit Zylinder ein Lied fürs Publikum gesteppt, um für etwas Aufmerksamkeit für die Botschaften und Bonmots zu buhlen. Auf den Mund gefallen ist hier keine beim Formulieren alltäglicher Benimmregeln: "Jungs, die Mädchen schon im Alter von zehn niedermachen?“ "Wenn Sexisten uns für eine dumme Kuh halten, warum schreiben sie dann ab?" – "Darf man mit Feministinnen flirten?" "Klar, aber verhalt Dich nicht wie ein Arschloch."

Ihre rebellische Haltung, ihr selbsternannter Punkfeminismus verbindet sich sogar locker mit der Aufschrei-Debatte – Rainer Brüderles Dirndl-Kompliment findet auch seinen Platz. Barrawassers Textvorlage basiert einerseits auf Tolokonnikowas Tagebuch-Erinnerungen "Anleitung zu einer Revolution", vor allem auf die Zeit im Arbeitslager. Und die verbindet sie mit neuen feministischen Haltungen, als ob beides schon immer zusammengehört.

Wie die drei Essener Schauspielerinnen das spielerisch anpacken und in die unterschiedlichen Frauenrollen schlüpfen ist ein Genuss. Höhepunkt ist der leibhaftige Auftritt des modernen Feminismus: Jaëla Carlina Probst im Ganzkörpertrikot knallt sich mit Schwung auf ein aufblasbares Regenbogen-Einhorn, futtert Chips und philosophiert in Alphatierchen-Manier inmitten der Mädchenrunde. Katharina Leonore Goebel wiederum gibt zwischendurch die Lageraufseherin, eine Ausgeburt eiskalter Unnachgiebigkeit, und Silvia Weiskopf kauert als Gefangene auf dem Boden, lehnt sich immer wieder gegen die Haftbedingungen auf. Tolokonnikowas Erleben bleibt real und ist doch Teil eines popbunten ironischen Bühnengeschehens, ein Balanceakt, den dieser Abend gekonnt geht und Pussy Riots Geschichte erhellend mit feministischer Debatte verbindet.

 

Pussy Riots
Textfassung von Magz Barrawasser und Florian Heller
Regie: Magz Barrawasser, Musikalische Leitung: Anke Wisch, Bühne und Kostüme: Johanna Denzel, Dramaturgie: Florian Heller.
Mit: Katharina Leonore Goebel, Jaëla Carlina Probst, Silvia Weiskopf.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-essen.de

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