Ein Nashorn neu in der Klasse

von Georg Kasch

Heidelberg, 21. April 2018. Einer der tollen Nebeneffekte des Heidelberger Stückemarkts ist, dass man durch die Gastspiele immer wieder Theater kennenlernt, von denen man allenfalls mal etwas gehört hat. Manchmal nicht mal das. Das Zürcher Theater Fallalpha ist so ein Fall. Ein "Familientheater", gegründet 1998, mit eigenem Ensemble. Und mit was für einem! Da können viele Stadttheater neidisch werden.

Kinderstücke-Volltreffer

Nun wissen Stückemarkt-Kenner längst, dass das gastierende Kinderstück oft ein Hit ist. Schließlich zeigt das Festival den Sieger des Kinderstücke-Wettbewerbs der Mülheimer Theatertage als Austauschgastspiel, es hat also schon einen kritischen Auswahlprozess durchlaufen. Allerdings muss das nichts über die Inszenierung sagen – vor zwei Jahren etwa erreichte Rob Vriens Uraufführung von Carsten Brandaus "Dreier steht Kopf" bei Weitem nicht die Flughöhe der Vorlage.

In diesem Jahr aber ist "Dickhäuter" ein Volltreffer. Da ist Tina Müllers Stück, das von einer Schulklasse voller "ganz normaler" Kinder erzählt. Eines Tages stößt Lou dazu, ein Nashorn, dick, laut, grau, anders. Die Klasse reagiert mit Ablehnung, dann mit Mobbing, Lou erst mit Anpassung, dann mit Trotz.

Jugendliche Ausgrenzungsmanöver

Ein harter Stoff, der Theatermacher zu Vereindeutigungen verführen könnte, gerade weil Müller alles offen lässt: Ist das Nashorn ein Bild für (scheiternde) Inklusion, Integration, das Mobbing Übergewichtiger?

Dickhaeueter3 250 Tanja DorendorfDick- oder Dünnhäutig? Die Schauspieler Oriana Schrage und Romeo Meyer 
© Tanja Dorendorf
Braucht es für kindliche Ausgrenzungsmanöver überhaupt Gründe? Das Fallapha-Team um Regisseurin Brigitta Soraperra lässt das in seiner so lässigen wie charmanten Uraufführung offen. Was auch daran liegen dürfte, dass es an der Entstehung des Stücks maßgeblich beteiligt war.

Um die kleine Spielfläche hat Bühnenbildner Peter Hauser zwei Bänke, ein Doppelspind, eine Tür und eine Garderobe arrangiert, an der Mützen hängen, mit denen die Schauspieler rasant die Rollen wechseln, so dass sich tatsächlich schnell das Bild einer ganzen Grundschulklasse fügt.

Gleich zu Beginn quetscht sich Romeo Meyer beladen mit dicken Gummischläuchen durch die Tür. Später werden sie zur Haut, die sie Oriana Schrage überziehen, um zu beweisen, dass die gegen die Gemeinheiten der Klasse hilft. Klappt natürlich nicht. Oder zu den Sesseln einer Talkshow, in der ein Biologe und ein Psychologe darüber streiten, was ein Nashorn braucht und die den Vorschlag machen, dass sich vielleicht auch die Kinder ans Nashorn anpassen können. Pointiert wirkt das und sehr komisch, auf der sprachlichen wie auf der spielerischen Ebene.

Normal ist eine Konstruktion

Die vielen kleinen Zuspitzungen aber denunzieren nie. Jeder Übergang ist ein kleines Wunderwerk der Verwandlung. Dieses Timing, dieser Rhythmus! Fliegend wechseln Romeo Meyer, Oriana Schrage und Andi Peter die Rollen, und Andi Peter sorgt auch mit E-Gitarre und Keyboard für den melancholisch-freundlichen Soundtrack. Emotionaler Höhepunkt ist jene Szene, in der er am Spind gefesselt mit seiner Ukulele davon singt, ob es für ein Nashorn möglich ist, kein Nashorn mehr zu sein. Das trifft so sehr ins Schwarze dessen, was es heißt, gemobbt zu werden, dass es wehtut.

Das Ende ist dann so überraschend wie einfach, weil "normal" ja auch nur eine Konstruktion ist. Wichtig, dass Kinder das lernen. Noch wichtiger, dass sie diese Botschaft derart spielerisch und klug vermittelt bekommen wie in der "Dickhäuter"-Uraufführung des Theater Fallalpha.

Dickhäuter
von Tina Müller Regie: Brigitta Soraperra, Bühne und Licht: Peter Hauser, Kostüme: Corinne Jäggi, Musik: Andi Peter.
Mit: Romeo Meyer, Andi Peter, Oriana Schrage.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.fallalpha.ch

 

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