In Jogginghose gegen den Rest der Welt

von Georg Kasch

Heidelberg, 23. April 2018. Wo sind eigentlich die Übertitel, wenn man sie mal braucht? Also dann, wenn Voodoo Jürgens in seinem zu großen Anzug unter der halbironischen Vokuhila-Frisur an die Rampe schlendert, sich das Mikrofon greift und zu singen beginnt. In einem Österreichisch, bei dem man allenfalls Wortfetzen versteht. Menschelt das? Hat das Witz? Ironie gar? In Wien ist der Mann, der mit dem freien rechten Arm immer in den Raum hineinrührt, als wolle er alle umarmen, ein Star.

Durchzechte Nacht

Vielleicht will er uns aber auch erwürgen. Was in seiner Ambivalenz hervorragend zum Wiener Phänomen Stefanie Sargnagel passt. Ihr Bachmann-Wettbewerbstext 2016 "Penne vom Kika" handelt von einer, die in Jogginghose auszog, das Leistungsprinzip zu verweigern, hin und wieder einen Text zu schreiben gegen Geld, um davon billige Lebensmittel (siehe Titel, der auf Nudeln im Möbeldiscounter anspielt) und billiges Bier in nicht minder billigen Kneipen zu bezahlen. Ob ihre so bissige wie lässige Suada dabei die Leser*innen umarmt oder ihnen den Stinkefinger zeigt, liegt im Auge der Betrachter*in. Witzig ist er in jedem Fall – und brachte ihr in Klagenfurt den Publikumspreis von 7000 Euro ein.

jaeh2 700 Ingo Pertramer uVoodoo Jürgens am Mikro, hinten, die Band und die drei Schauspielerinnen Miriam Fussenegger, Saskia Klar
und Lena Kalisch © Ingo Pertramer Rabenhof

Am Wiener Rabenhof, einer Kellerbühne, die alternatives Volkstheater zwischen Singspiel, Kabarett und satirischem Puppenspiel zeigt, haben Christina Tscharyiski und Fabian Pfleger aus Sargnagels Klagenfurt-Lesung eine Bühnenfassung gezimmert, auf der steht, was drin ist: "Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis". Sie verteilen den hier gekürzten, da erweiterten Tagesbericht – Dusche, Eislaufen, Beisl – auf die drei Schauspielerinnen Miriam Fussenegger, Saskia Klar und Lena Kalisch.

Unter pumucklhaften Perücken schlurfen sie in Schlabberhosen und zerlöcherten Wollpullis über die Bühne, verstecken sich hinter den vielen Türen im dunkel gebeizten Schrank-Ungeheuer, das die Bühne nach hinten begrenzt, halb Kneipen-Täfelung, halb Spießer-Schrankwand (beides spielt im Text eine Rolle). In der Tram verknoten sich ihre Arme zum Haltegriff, auf dem Eis werden sie zur synchronen Zeitlupenmaschine, in der Beisl lungern sie um den Tresen herum und werfen einander die Textpassagen der Erzählerin und der frisch verlassenen Freundin Mercedes zu.

Anti-Haltung zum gepflegten Schmäh

Lässig ist das bis zur Unterspanntheit, was Sargnagels Text entgegenkommt und der Musik. Tscharyiskis Inszenierung hält sich sehr zurück, vertraut auf Sargnagels Ironie, hätte aber hin und wieder noch eine Umdrehung mehr vertragen. Dass "Ja, eh!" gerade das Regie-Festival Radikal jung gewonnen hat, dürfte hingegen an der Art der Auszeichnung liegen: Das Publikum entscheidet. Und da liefert Sargnagel einfach großartige Pointen, die die drei Schauspielerinnen souverän servieren.

Voodoo Jürgens übrigens, so weiß das Internet zu berichten, singt makaber-entspannte Alltagsgeschichten von Strizzis, Trinkern und Verlierern. Und das zu einer Musik, die seine Musiker an Gitarre, Geige, Bass und Schlagzeug irgendwo zwischen Wienerlied und Bluesrock schrummeln. Damit passt er hervorragend zur lässigen Sargnagel'schen Alltagspoesie. Muss einem nur mal jemand sagen! Die Heidelberger haben ihn auch ohne Übertitel verstanden – und sich zwei Zugaben erjubelt.

Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis
mit Texten von Stefanie Sargnagel montiert von Christina Tscharyiski und Fabian Pfleger
Regie: Christina Tscharyiski, Bühne: Sarah Sassen, Kostüme: Catia Palminha, Dramaturgie: Fabian Pfleger.
Mit: Miriam Fussenegger, Saskia Klar, Lena Kalisch, Musik: Voodoo Jürgens und Band (Martin Dvoran, Matthias Frey, David Schweighart).
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.rabenhoftheater.com

 

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