Mars-Mission mit Elon Musk

von Simone Kaempf

April 2018. Drei Tage und drei Nächte im Bauch eines Walfischs verbracht. Dann speit einen das Tier wieder aus. Befreit von Übel, Schuld und Tod, als neugeborener und wiederauferstandener Mensch. Das Alte Testament verbrieft dieses Erlebnis des Propheten Jona, der danach auf den rechten Weg zurückfand. Und so steht es auch hier in "Die Benennung der Tiere". Mehr als 2000 Jahre nach Beginn der biblischen Zeitrechnung, in einer technikgläubigen Gegenwart liegt ein Wal zwischen den Gleisen in einem U-Bahnhof. Obwohl: Ganz klar ist es nicht, dass da wirklich ein Walfisch festklemmt. Doch die, deren Wege sich hier kreuzen, wissen die Zeichen zu deuten:

"Das ist kein zoologischer Notfall. Dieser Wal ist Gottes Helfer, der uns verschlucken wird, um uns in Sicherheit zu bringen."
"Das ist ja ganz wunderbar!"
"Das ist nicht nur ganz wunderbar, wenn es sich bei dem Wesen im Gleisbett tatsächlich um einen Wal handelt, wäre das die Rettung.“

Meer der Traurigkeit

Das ist sie also, die große Hoffnung, der rettende Strohhalm einer erlösungs-bedürftigen Gesellschaft, die ganz naiv an ein glückliches Leben zu denken wagt. Eine kleine Handvoll Menschen führt Leon Engler zusammen. Die nichts lieber wollen als aus ihrem Meer der Traurigkeit entrissen zu werden, auf dem rechten Weg gebracht, und die doch auch mit einer charmanten Renitenz und gesundem Misstrauen ihre Fragen an die richten, die hier als Erlöserfiguren samt ihrer Technik- und Lösungs-Versprechen bestellt sind. Und Engler wartet gleich mit Riege potentieller Weltretter auf.

engler leon vitaLeon Engler
© Henschel Schauspiel
Dringlich werden sie gebraucht. Denn der Wal steckt zwischen den Gleisen fest, vor der Welt-Erlösung muss erstmal der Retter gerettet werden. Auf Hilferuf des U-Bahn-Wächters erscheinen: Tesla-Gründer Elon Musk, der letzte afrikanische Diktator Mswat III., Chiara Ferragni, erfolgreichste Modebloggerin der Welt.

Es ist eine bewährte dramatische Praxis, solche quasi-realistischen Figuren auf Kollisionskurs mit einer notleidenden Wirklichkeit zu schicken. Selbst kleine menschliche Unterschiede entwickeln so ihre dramatisches wie heiter-skurriles Potenzial. Mit Elon Musik trifft hier ein kalifornischer Homo Faber, ein richtiger Technokrat und großspuriger Naturbeherrscher, für den die Distanz zum Mars bewältigbar ist, auf jemanden wie die junge Helena, die schon mit dem Gang zum Supermarkt zu kämpfen hat.

Aus den Begegnungen schöpft sich der Witz. Ja, es gibt wirklich etwas zu lachen in diesem Stück, in dem Engler sehr liebenswürdig selbst noch einen afrikanischen Diktator zum Träumer erhebt. Es ist weniger ein von Pointe zu Pointe springen als ein feiner Sprachspürsinnwitz, mit dem sich Engler hier den modernen und medial-tauglichen Heilsbringern nähert, die mit ihren Weltanschauungen alle auf großem Fuß leben. Der fortschrittsgläubige Tesla-Erfinder mit Ambitionen, die Menschheit auf dem Mars anzusiedeln, genauso wie der rückschrittliche Diktator oder die internetaffine geschäftstüchtige Modebloggerin.

Nützen und unterhalten

Der Dramatiker Leon Engler, in München aufgewachsen, hat in Wien Theaterwissenschaft studiert, lehrt dort auch und gewann mit seinem ersten Theaterstück den Nachwuchswettbewerb des Theater in der Drachengasse. Untergründiger Wiener Dialogwitz ist spürbar miteingeflossen, wobei Engler sich selbst in der Hinsicht lieber als Prediger bezeichnet, der seine Referate mit Humor zu entschuldigen versucht. "Wenn die Zuschauer einmal lachen dürfen, hören sie auch fünf Minuten lang wieder zu", sagt Engler über ein früheres Schlüsselerlebnis im Theater und beruft sich auf einen Satz von Horaz, der ihm zu Schulzeiten eingepresst worden sei: Prodesse et delectare! Nützen und unterhalten, unterhalten und nützen. Ein schmaler Pfad, den Engler hier bestens begeht.

Alles andere als bierernst und gleichzeitig maximal kritisch treibt "Die Benennung der Tiere" unterschiedlichste Erfolgs-Formeln vor sich her: die Kolonialisierung des Mars, die Heirat von 99 Ehefrauen oder das Erfolgsgeheimnis der Modebloggerin, dem Rest der Menschheit im Internet das Leben vorzuspielen, von dem sie träumen: "Wenn du nicht dünn bist, kann du dir ansehen, wie das Leben als dünne Frau ist. Wenn du nicht reich bist, kannst du dir ansehen, wie das Leben als reiche Frau ist."

Elfriede Jelinek spielt auch mit

Ob das nun das Klügste oder doch das Dümmste ist, das sie je gehört habe, wie die potentielle Walretterin Helena feststellt, bleibt offen. Aber solche Fragen zu durchspielen ergibt die inhaltlichen Anker. Auf eine Wahrheit steuert das Stück weniger zu als auf den Plot, dass es Elon Musk mit seiner Sonde bis auf den Mars schafft, begleitet vom König des Swasilandes und von – Elfriede Jelinek! Die zwischenzeitlich nur in die Verkleidung der Bloggerin geschlüpft war, um unerkannt das Haus zu verlassen. Diese aberwitzige Volte trägt mehr als nur eine effektvolle Theater-Pointe in sich, denn wer könnte einer Phallokratie schon besser die Leviten lesen als sie? Wie sich hier offenbart, dass auch sie den einfachen Leuten nicht helfen kann, entfaltet bei aller Überzeichnung seine kritische Moral sehr suggestiv, man muss nur genau genug hinhören.

Mit der Reise auf den Mond zu dritt tritt das Stück am Ende die Flucht nach vorne an. Und auch der U-Bahnwächter Oskar erhält sein Happy End mit dem Abstieg in den erkenntnisbringenden Schlund des Walfischs. Er, der einen nach dem anderem zur Hilfe rief, wird belohnt und schafft es tatsächlich bis in den Magen des Wals. Und nun? "Jetzt heißt es hoffen und warten". Hoffen und warten, mehr geht irgendwann nicht mehr. Geerdet und sehr tröstlich ist diese Utopie. Technik-Skeptizismus blitzt auf. Fatalistische Fragen stellt Engler nicht, aber er trotzt dem Weltrettungsversuch neben der Komödie so einige Ohnmachtsgefühle des Hier und Heute ab.

 

Lesung von "Die Benennung der Tiere" am ersten Tag des Autorenwettbewerbs, 21. April 2018 um 16.00 Uhr, Alter Saal