Born to lose

von Sascha Ehlert

April 2018. Brunzenberg. Banzenweiler. Liest man, wo Rinus Silzle, der Rochen mag und in Berlin Szenisches Schreiben studiert, aufwuchs, muss man erstmal Google bemühen. Immerhin klingen die beiden Ortsnamen, die er angibt, um seine mutmaßlichen Herkunftsort zu beschreiben, so als wären sie bereits Teil der Geschichte, die er in seinem Stück "Legal Highs" entwirft. Ich meine: Komm schon, als gäbe es Orte, die so heißen, wirklich? Sowas denkt man zumindest als Großstädter, für den die Geschichten, die junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller über das Aufwachsen in der Kleinstadt erzählen, klingen wie Märchen aus einem fernen Fantasieland. "Legal Highs" gibt uns, den Konsumenten, zwar keine Ortsangaben an die Hand, klar ist nur: "Wir sind hier nicht in Berlin. Da muss man nehmen, was da ist." Und so kommt die Geschichte, die Rinus Silze erzählt, deshalb in Gang, weil drei junge Leute nicht an organisch gegrowtes Lemon Haze rankommen, sondern nur an die Marihuana-Ersatzdroge Curly Spice, eine mit synthetischem Cannabinoid angereicherte, high machende Kräutermischung, die das Betäubungsmittelgesetz umgehen sollte und erst 2016 verboten wurde.

Kein Gras im Haus

Aber der Reihe nach: In "Legal Highs" treffen wir auf Peer und Paula, die zusammen im Krankenhaus arbeiten. Im Auto von Paulas Vater fällen sie eine nebensächliche und doch folgenreiche Entscheidung: "Hier guck mal, meinst du, das passt so?", fragt Paula, nachdem sie vor der Haustür ihres Freundes eingeparkt ist, woraufhin Peer nur antwortet: "Bestimmt." Leider passt in der Folge so gar nichts. Das Pärchen besucht Ponzi, eigentlich wollen sie nur Gras bei ihm schnorren. Aber Gras gibt es keins, nur besagtes Kräuselkraut. Also was zur Hölle? Wird eben das geraucht!

Auch die Chemie zwischen den Dreien passt so gar nicht, am ehesten einig sind sich noch Ponzi und Peer – darüber, dass Paula ihnen immer die Haare vom Kopf fresse. Eigentlich kommen die beiden Jungs aber aus grundverschiedenen Welten: Peer steht wirtschaftlich mehr als stabil da, Ponzi hingegen ist gerade aus seiner Wohnung geflogen und wohnt nun in einem ausgebauten Keller. Ein Trio zum Verlieben ist es nicht, das uns Rinus Silzle vorsetzt. Egal, die Bong packen die drei trotzdem aus, ganz gleich, wie wenig lecker das Spice aussehen mag. Irgendwie muss es sich ja wenigstens lohnen, dass Paula und Peer hier nun mit dem pessimistischen Ponzi in dessen verdreckter Kellerbude hocken und einander in passiv-aggressiver Manier Hochgeschwindigkeitsdialoge um die Ohren hauen.

Kiffer auf Speed

Bekiffte Dialoge in Highspeed? Das passt eigentlich wie die Faust aufs Auge, zum Beispiel in einigen der letzten Arbeiten von René Pollesch, der seine Spielerinnen und Spieler zuletzt gerne mit großen Joints in der Hand über dies und das philosophieren ließ. Während bei Pollesch aber mit dem Anzünden des grünen Krauts die Handlung zum Stillstand kommt, gerät sie hier gerade erst in Fahrt, als die Bong zum ersten Mal kreist.

silzle rinus vitaRinus Silzle
© Joschka Silzle
Obacht, dies ist keine harmlose Kifferkomödie: Direkt nach dem ersten Hit liegt Peer röchelnd auf dem Boden. Nachdem Fonzi Paula zunächst vorschlägt den atemlosen Peer per Luftröhrenschnitt zu retten – kurze schwarzhumorige Einwürfe sind eine der Stärken des Textes von Silzle – entscheiden sie sich doch dazu den Kranken abzustransportieren, aber leider hat man Paulas Auto eingeparkt. Beim Ausparken kassiert das Auto den ersten, aber nicht letzten Lackschaden.

Von hier an wird das Stück weiter schneller und schneller: Während sie durch die Nacht rasen, Ponzi navigiert und Paula fährt, erfährt der Leser nur kurz etwas über die Beziehung zwischen den beiden, dann geschieht das nächste unerhörte Ereignis – natürlich, ein Unfall. Paula trifft einen Hydranten – und Peer wird wieder wach. Also alles gut? Nicht ganz, in der Folge dreht Rinus Silzle ein weiteres Mal an der Temposchraube: Atemlos reden sich die drei zunehmend um Kopf und Kragen, als auch noch eine Dealerin namens Pina, ein freundlicher Polizist namens Dieter und Ponzis mysteriöse Bekanntschaft Purple in die Geschichte hineinbrechen. Achtung, Spoiler: In der Folge sterben zwei Menschen. An dieser Stelle mehr zu verraten wäre frevelhaft, immerhin funktioniert "Legal Highs" wie ein Thriller, der von seinen Twists und Turns lebt: Auch als Leser oder Zuschauer folgt man dem Geschehen zunehmend atemlos.

Gewinner und Verlierer

Zwei Leichen später steht jedenfalls eine Handvoll junger Menschen wieder in Ponzis Kellerkabuff und muss entscheiden, was nun geschieht, wer die Verantwortung für das übernimmt, was in dieser Nacht geschah. Einer stellt schließlich die entscheidende Frage in den Raum: "Und jetzt frag ich euch, wer von uns hat keinen Nutzen, ist zu nichts zu gebrauchen und keiner würde ihn vermissen?"

Am Ende steht somit die zynische Beobachtung, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Gewinner Gewinner bleiben, wohingegen geborene Verlierer wenig dagegen tun können, dass sie Verlierer bleiben. Was "Legal Highs" jedoch vor allen Dingen eigen und beachtenswert macht, ist Rinus Silzles mutige Entscheidung ein Stück zu präsentieren, das nicht behauptet über Metaebenen die gesamte Welt zu erklären, verkappt eine Generation oder unsere Gesellschaft porträtiert oder den Versuch unternimmt eine politische Haltung in Stückform erkennbar zu machen, sondern einfach "nur" eine spannende Geschichte erzählen will. Es geht Rinus Silzle nicht darum, für oder gegen die Legalisierung weicher zu Drogen zu argumentieren und auch nicht darum, vor den Gefahren sogenannter "Legal Highs" zu warnen. Im Gegenteil, der Zeigefinger bleibt in der Hosentasche. Was Silzle deshalb gelungen ist, ist das Erzählen einer Geschichte mit viel Humor, düsteren Abgründen und unvorhersehbaren Plot Twists, die fesselt, überrascht, schockiert und zufrieden-erschöpft erst dann entlässt, wenn die letzte Zeile aufgesagt ist.

 

Lesung von "Legal Highs" am zweiten Tag des Autorenwettbewerbs, Sonntag 22. April 2018 um 16.00 Uhr, Alter Saal