Können diese Augen lügen

von Georg Kasch

Heidelberg, 25. April 2018. Treu guckt er, der Deutsche Schäferhund Flocke, wie Hunde eben treu gucken: mit großen, warm schimmernden braunen Augen. Überlebensgroß prangt das Tier auf der weißen Plane, die von der Bühnenrückwand in den Boden übergeht. Einen Lichtwechsel später leuchten die Augen gefährlich, irre, hypnotisierend.

Gruselig ist auch das, was Erzählerin Claire in Kirsten Fuchs’ Theatersolo "Das Heimatkleid" aufdeckt. Denn die Modebloggerin aus Zufall (sie hilft ihrer Schwester aus, deren Wohnung sie auch übernimmt), ist zunächst ziemlich begeistert vom Label Heimatkleid, dessen Chefin sie interviewt: alles regional produziert, bio, frei vom Blut der Kinderarbeiter in Bangladesch und anderswo. Und schick ist sind die Klamotten auch noch, Retrodirndl mit einem gewissen Extra!

Fair produziertes Kleid

Dem Pferdefuß kommt Claire erst später auf die Schliche: Die Macherin ist ebenso rechtsnational wie Claires charmanter und hilfsbereiter Nachbar Tom, Fan der Partei DH (was hier als Synonym für die AfD gelten darf). Bevor die Geschichte gegen Ende rasant auf sein Finale zusteuern kann, gibt uns Fuchs noch ein paar Gedankenexperimente mit.

Heimatkleid 02 700 Joerg Metzner uKönnen diese Augen lügen? Wie ein Lehrstück beginnt Kirsten Fuchs' "Das Heimatkleid" mit einem fair produzierten Kleid, streift den Tod des Hundes Flocke und endet mit einem Nachbarschaftsstreit im Mietshaus. Katja Hiller spielt das Solo © Jörg Metzner

Denn zunächst verteidigt Claire die Modemacherin und den Nachbarn noch: Nazis raus? Gehören die etwas nicht dazu? Unterstützt durch Stimmen, die alle die DH wählen, darunter Juden aus Russland, die hier eine Heimat gefunden haben und ein schwules Paar. Menschen, die mehr Angst vor Muslimen haben als davor, dass die Geschichte sich wiederholt. Da formen sich Fragen wie: Was ist fair? Was ist gerecht? Und die Einsicht, dass man sich manchmal einfach informieren muss, um sich nicht aus Versehen mit den falschen Leuten zu fraternisieren.

Welt aus Youtube, Social Media, Rechtsnationalen

Fuchs, Berliner Lesebühnen- und Romanautorin, hat 2015 mit "Tag Hicks oder Fliegen für vier" sowohl den Berliner Kindertheaterpreis als auch den Brüder-Grimm-Preis gewonnen. "Das Heimatkleid" ist ihr erstes Jugendstück – ab 16 Jahren. Selbst für diese Zielgruppe wirkt der Stoff ziemlich herausfordernd, schildert es doch die Welt einer jungen Erwachsenen mit eigener Wohnung und vielen neuen Verantwortlichkeiten. Welcher Jugendliche macht sich schon Gedanken über seine Hausgemeinschaft oder Hausfriedensbruch?

Die anderen Beiträge des JugendStückeWettbewerbs waren näher dran am Publikum – Zucken durch seine druckvolle Energie, Mongos durch seine spielerische Leichtigkeit. "Das Heimatkleid" nimmt hingegen einen vergleichsweise weiten Anlauf, um erst allmählich über verschiedene Motive zu einer Erzählung zu werden – und reißt dabei überraschend viele Themen an, die sich hinterher diskutieren lassen. Katja Hiller, die sonst am Grips eher die Mütter und Lehrerinnen spielt, ist eine ruhige, genaue Textausloterin, die sich Zeit nimmt für Blicke, Haltungen, Gedanken.

Wendungsreiche Wahrheitsfindung

So auch hier, und man braucht schon etwas Konzentration, um reinzukommen in Claires Gedankenflow, dem Hiller nachspürt und der stellenweise vielleicht noch etwas mehr jugendliche Energie vertragen könnte. Erst spät schlüpft sie in die Rollen anderer Hausbewohner, berlinert hinreißend die alte Frau Kaufmann, deren kurze Rede der Höhepunkt von Tim Egloffs Inszenierung ist, spielt Johannes Gehlmann als Sidekick an, der an der E-Gitarre für den fluffigen Soundtrack wie für Störgeräusche sorgt.

Am Ende wächst die Erkenntnis, dass das mit dem Richtig und Falsch doch nicht gar so kompliziert ist. Man muss nur die gleich mehrfach gestellte Frage "Betrifft mich das jetzt?" mit Ja beantworten. Und die Konsequenzen ziehen.

Das Heimatkleid
von Kirsten Fuchs
Regie: Tim Egloff, Bühne und Kostüme: Lea Kissing, Dramaturgie: Ute Volknant, Theaterpädagogik: Ellen Uhrhan.
Mit: Katja Hiller, Johannes Gehlmann an der Gitarre.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.grips-theater.de

 

Zum Essay über die Jugendstücke