Ja oder Nein

von Michael Wolf

Heidelberg, 23. April 2018. Gewehrsalven vom Band schütteln das Ensemble durch. Die jugendlichen Schauspieler reißen die Arme hoch, fallen auf Ledercouches, schließen die Augen. Bang bang, tot sind sie, stehen aber bald wieder auf und zücken routiniert ihre Smartphones. Ursprünglich hieß Sasha Marianna Salzmanns Text "Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten (Zucken)". Übrig blieb "Zucken": eine unwillkürliche Regung des Körpers, ein Signal, dass etwas nicht stimmt, dass sich tief drinnen Widerstand regt.

Tanzen, boxen, kicken, klicken

In Sebastian Nüblings rasanter Inszenierung suchen Jugendliche nach einer Sprache für dieses Gefühl. Und finden sie in der Gewalt. "Wir können manchmal nicht aus dem Bett, weil wir nicht wissen, ob unter unseren Füßen ein Grund ist, der uns trägt", klagt das Ensemble chorisch, und hat schon bald eine Lösung zur Hand: "Diese ganze Wut und Verzweiflung landet mit voller Wucht in deinem Magen, frisst sich durch deine Schleimhaut und haut dich um."

zucken1 700 junges theater basel uJa, wohin, wenn man sich mal aufmacht von der Couch in die Welt? © junges theater basel

Stimmt, die chorischen Passagen hauen rein. Die Nachwuchsschauspieler vom Theater Basel dem Berliner Maxim Gorki Theater tanzen, boxen, kicken – und klicken ständig auf ihren Geräten herum. Das Austesten eigener Grenzen findet im Jahr 2018 nicht mehr im Kinderzimmer statt, sondern digital und weltweit.

Salzmann erzählt ein paar kleine Geschichten, die an reale Fälle erinnern. Ein Mädchen verliebt sich in einen Gotteskrieger. Besonders mag sie an ihm seine klare Sicht auf die Welt. Er verschickt keine Smileys, hat keinen Sinn für Ironie, sondern antwortet im Chat meist nur mit "Ja" oder "Nein". Das Mädchen sucht Orientierung, sucht Klarheit und endet als Attentäterin. Konfrontationen mit Autoritäten und Eltern führen hier an die Front.

Tja, so ist die Natur

In einer anderen Episode lässt sich ein Medizinstudent von seinem nationalistischen Vater provozieren. Als er sich selbst auch noch verdächtigt, schwul zu sein, läuft er weg: direkt in den ukrainischen Bürgerkrieg. Salzmann und Nübling zeigen Fundamentalismus und Terror erfrischend unpädagogisch als reale Möglichkeiten, den Verwirrungen des Erwachsenwerdens zu entfliehen.

Den Dschihad verstehen, heißt hier also zunächst: die Gräuel der Pubertät ernstnehmen – diese Zeit, in der nicht nur die eigenen Abgründe offenbar werden, sondern auch die Widersprüche unserer Gesellschaft, in die schuldlose junge Menschen hineinwachsen. Salzmanns Figuren machen da nicht mit. Sie weigern sich den Status quo zu akzeptieren. Ihre Prophezeiung ist apokalyptisch: "Wir werden eure Kinder süchtig machen / Und sie dabei filmen, wenn sie einander abschlachten / Darüber Forschungsarbeiten schreiben / Und sagen: Tja, so ist Natur".

Heimat und Gemeinschaft finden sich nur, wo es klare Antworten gibt. Einigkeit ist nur in der Unterdrückung anderer zu finden. Das müssen sie von den vorherigen Generationen gelernt haben. "Zucken" ist eine düstere Absage an die Gegenwart. Aber immerhin: Es wird nicht alles schlecht, wenn diese Generation ans Ruder kommt. In Basel und Berlin können sie sich über große Schauspieltalente freuen.

 

Zucken
von Sasha Marianna Salzmann
Regie: Sebastian Nübling, Bühne und Kostüme Ursula Leuenberger, Sound: Lukas Stäuble, Dramaturgie: Ludwig Haugk, Uwe Heinrich.
Mit: Martha Benedict, Yusuf Çelik, Doğan Çoban, Elif Karci, Timo Muttenzer, Helena Simon, Cara Stauffenegger.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.gorki.de
www.jungestheaterbasel.ch

 

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