Verpixeltes Versteckspiel

von Simone Kaempf

Heidelberg, 23. April 2018. Einen Text als verrätselt zu bezeichnen ist natürlich eine Verlegenheitslösung. Aus Not geboren, um beizukommen, was sich da verweigert, etwas im Stück, das nicht richtig klar zu kriegen ist. In Wolfram Hölls "Drei sind wir" ist das einiges. Auch wer behauptet, das Stück verstanden zu haben, kommt um Begriffe wie sprachgenau, minimalistisch oder eben, ja, verrätselt nicht herum. In sprachlicher Erinnerungsarbeit erzählt Höll von einer Kleinfamilie, Mutter, Vater und Kind, die nach Kanada auswandert – das ist das grobe Handlungsgerüst. Ein Haus wird gekauft, Eltern und Großeltern reisen auf Besuch an, im Herbst verfärbt sich das Laub und im nächsten Frühjahr stirbt das mit Downsyndrom geborene Kind.

Das Leben verbleicht

Geht es um den Kreislauf der Natur? Hölls mit Wiederholungen gespickte Erzählungen suggerieren es. Ein diffuses Gefühl von Trauer, Verlust und Lebenszyklus steckt in der rythmisierten, repetitiven Prosa, wie man es auch schon von seinem "Und dann" kennt. Ein Markenzeichen sind auch wieder Hölls mit Schreibmaschine getippen Textreihungen. Manchmal bleicht der Druck aus wie altes Farbband auf Papier, und im Stück verliert dann das Grün der Blätter seine Farbe. Man könnte das als materialisierte Regie-Anweisung verstehen für ein Verbleichen und Verschwinden von Leben.

DreiSindWir2 700 Georg Soulek uZu dritt ist man weniger allein © Georg Soulek

 

So macht es Regisseurin Valerie Voigt-Firon in ihrer im Vestibül des Burgtheater entstanden Nach-Inszenierung. Sepiagrün der kleine Bühnenkasten, drei Wände diffus beleuchtet, Licht und Schatten fallen durch Wandrasterungen. Ein enger Raum, in dem ein Mikrofon von der Decke hängt. Der Kachelboden, der auf den Wiener Szenenfotos zu sehen ist, ging nicht mit auf die Gastspielreise. Aber er fehlt nicht in dieser ausgefeilten Sprechübung für drei Schauspieler, in der man auch einfach nur zuhören kann Tino Hillebrand, Marcus Kiepe, Marie-Luise Stockinger schlüpfen in diesen Text jenseits aller realistischen Psychologie, verbinden die musikalische Rhythmik mit einer abstrakt-künstlich bleibenden Bühnenatmosphäre.

Es gibt wirklich schöne Momente. Wenn Stockinger das Wort "Haus" wiederholt – sieben, acht Mal – entspinnt sich die emotionale Bandbreite vom Erstaunen zum Erkennen eines kleines Glücks und dann hebt die Inszenierung momentweise zu einem kleinen Kunstwerk ab. Überhaupt hat man beim Stückemarkt schon einige ganz großartige Sprachbehandlungen erleben können, etwa in Vor Sonnenaufgang oder auch in Homohalal.

Ein Drama um Distanz

Und doch lässt einen "Drei sind wir" mit vielen Fragen zurück. Auch die nach dem grundsätzlichen Umgang mit zeitgenössischer Dramatik. Warum zum Beispiel ein so preisgekröntes, herausragendes Stück am Burgtheater als Studio-Inszenierung für 2M, 1D klein gehalten wird. Immerhin wurde der Text im Jahr 2016 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet.

Das Stigma des Verrätselten bekommt Voigt-Firon nicht in den Griff. Momente zum Aufhorchen gibt es, aber seltsam offen bleibt das Thema der Trisomie 21. Ein Kind wird mit dem Chromosom-Defekt geboren, die Familie siedelt um nach Kanada. Ist das gescheiterte Inklusion? Oder angesichts des nahenden Tods der Wunsch nach Distanz und Abschottung? Ein Drama um Distanz, Nähe und Erinnern durch Sprache versteckt sich auch in dem Text. Voigt-Firon projiziert eine verpixelte Landschaft auf die Wand, die Schauspieler nutzen pixelige Gesichtsmasken. Als Zuschauer zoomt man wie in einem Versteckspiel darauf, um ein genaueres Bild zu bekommen. Von Auge, Wald, Laub, grün ist die Rede. "Das Laub spiegelt sich auf dem Aug'." Die szenische Spielerei erinnert ein wenig an die spukhafte Kinder- und Bilderwelt, mit der Claudia Bauer Hölls Und dann inszeniert hat, aber kehrt dann zu schnell wieder zum Sprech-Sprachstück zurück: sehr durchkomponiert, aber auch undeutlich bleibend.

 

Drei sind wir
von Wolfram Höll
Regie: Valerie Voigt-Firon, Bühne: Eylien König, Kostüme: Lejla Ganic, Video: Alexander Richter, Licht: Ivan Manojlovic, Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer.
Mit: Tino Hillebrand, Marcus Kiepe, Marie-Luise Stockinger.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.burgtheater.at

 

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