"Im Horrorkarussell des Alterns"

nachtkritik.de: Ihre Inszenierung als Revue hat etwas Zirkushaftes, woher stammt die Drehbühnenidee?

Claudia Bauer: Ehrlich gesagt, habe ich mich mal ganz an die Regieanweisung der Autorin gehalten. Im Vortext schrieb sie, dass die alten Leute auf einem Karussell stehen sollen. Manche Leute sollen sich darauf in den Vordergrund schieben, weil sie mehr reden wollen über sich und ihren körperlichen und geistigen Verfall, und andere sich eher im Hintergrund verstecken. Diese alten, verfallenden, dementen, gebrechlichen Menschen auf einem Karussell stattfinden zu lassen, war also der ausdrückliche Wunsch von Katja Brunner.

nachtkritik.de: Dann hat die Luzerner Uraufführung dem nicht Folge geleistet, wenn dort die Alten durch ein realistisches Seniorenheimgehäuse staksen? Würden Sie sagen, sie haben den Text ernster genommen?

Claudia Bauer: Zumindest was das Setting angeht. Ich nehme natürlich Autoren nicht bei jedem Wort, das sie hinschreiben. Katja Brunner war über die Uraufführung nicht ganz froh. Und da dachte ich, mache ich doch mal eine Autorin glücklich und bringe ihren Wunsch auf die Bühne. Wenn man Menschen in besabberte Anstaltskitteln steckt und in einem geschlossenen Raum mit echten Gehhilfen umherwanken lässt, erzeugt man keinen interessanten Widerspruch. Mein Vorhaben war, dass man nicht das Äußerliche dieser Menschen zeigt, sondern ihren seelischen Zustand. Den kann man nicht nur mit den äußeren Attributen eines Altersheims abbilden.

nachtkritik.de: Im Text wird auch nie klar, was reales Geschehen ist, was Erinnerung und Traum.

Claudia Bauer: Genau, es sind innere Monologe, die teilweise niemand mehr hört, Personen sagen mehrmals, dass sie eigentlich gar nicht mehr sprechen können, Und es gibt auch äußere Monologe, die Übergänge sind fließend. Dem muss man Rechnung tragen. Deswegen das Karussell der alten Körper. Das Heim mit Gummibäumen und Raucherecken kommt ja schon im Text vor.

nachtkritik.de: Die Körpermasken bringen eine Mischung aus nichtmenschlich und verletzlich zum Ausdruck. Das war sicherlich gewollt?

Claudia Bauer 180 Sandra Then uClaudia Bauer © Sandra Then Claudia Bauer: Genau. Ich arbeite ja sowieso viel mit Masken. Die alten Leuten reden wahnsinnig viel, was ich nicht nachsynchronisiert über Band oder sonstwie von außen eingesprochen haben wollte. Denn die Sprache ist ja schon sehr anspruchsvoll bei Katja Brunner. Daher wollte ich nicht mit Gesichtsmasken arbeiten, denn Sprechen hinter Masken ist selten gut. Deswegen griffen wir zu Körpermasken und da ich vor allem junge Menschen besetzt habe, konnte man ihnen und den Zuschauern damit das Gefühl geben, wie ein alter Körper so an einem als Fremdkörper dranhängt. Die künstlichen alten Körper haben aber in ihrer weißen Wattehaftigkeit auch etwas Schönes, was mir wichtig war. Sie sind gleichzeitig lächerlich und elfenhaft.

nachtkritik.de: Welche Funktion haben die jungen Leute im Vorspiel auf dem Dreirad, die sind ja auch im Text?

Claudia Bauer: Ich habe keinen einzigen Fremdtext eingefügt. Wir haben sie "die Lolitas" genannt. Das sind die jungen Menschen, die den Blick aufs Alter wagen und sich vielleicht auch darüber lustig machen, und wenn sie die Bühne betreten, altern sie in rasender Geschwindigkeit. Sie finden sich plötzlich im Horrorkarussell des Alterns und in den alten Körpern wieder. Altern des Körpers passiert einem ja so, obwohl man sich so vorkommt wie: Ich habe doch gerade erst Abitur gemacht. Den Effekt wollte ich zeigen, dass in jedem alten Menschen ein junger steckt, der sich wundert, was eigentlich passiert ist.

nachtkritik.de: Aus dem Grund haben Sie auch sehr junge Schauspieler besetzt?

Claudia Bauer: Das war Konzeption, ja. Ich wollte sehr agile Menschen haben, die sich in alten Körpern wiederfinden. Es sollte ja auch ein Memento mori sein: In einem Moment springt man noch im hippen Club herum und dann plötzlich sitzt man in der Raucherecke im Altenheim.

nachtkritik.de: Vita brevis. Aber vom Altersklischee hielten Sie auch Abstand, wollten nicht erwartbar sein?

Claudia Bauer: Es sollte kein Trauerspiel werden, im Sinne eines Betroffenheitsstückes. Ich wollte mich nicht drüberstellen und zeigen, wie schlimm Altsein ist. Es sollte tatsächliche eine Bitter-sweet-Revue werden über das Altenheimdasein. Deswegen findet da auch eine Party statt, wo die Alten rauchen, saufen, und in den Gummibaum kacken. Warum sollen die den ganzen Tag nur Pfefferminztee und Zwieback zu sich nehmen?

nachtkritik.de: Es könnte ja schädlich für die Gesundheit sein ...

Claudia Bauer: Stimmt. An dem Zeitpunkt des Lebens könnte man ja alle schönen und ungesunden Sachen machen, weil man nicht mehr fit for life and work sein muss. Das Thema geht alle an, wir wollen alle nie als Geister enden, die nicht mehr angeschaut und nur mit Pfefferminztee grundversorgt werden.

nachtkritik.de: Wie frei fühlen Sie sich beim Inszenieren solcher Textteppiche?

Claudia Bauer: Bei Katja Brunners "Geister" war das hart, weil sie tatsächlich keinen dramaturgischen Bogen baut. Sondern es ist eine sehr lose flächige Textsammlung, die sprachlich sehr hochwertig, dramaturgisch eher schwierig ist. Um in diesen Altenheimalltag einen Bogen hineinzubauen, mussten wir mit der Partyplanung und Ausbruchsversuchen und letztlich dem Tod von Frau Heisinger eine Entwicklung skizzieren. Aus diesen Texten eine Handlung herauszuwringen, war durchaus unsere Hauptaufgabe, also die Texte sinnlich und lustvoll zu einer Minimalgeschichte zu bauen. Der junge Autor an sich, das betrifft nicht nur Katja Brunner, neigt ja eher zum flächigen assoziativen Schreiben. Und manchmal wünscht man sich doch einen dramaturgischen Bogen, der den Namen verdient hat. Das habe ich Katja auch gesagt, was ich da vermisse, und warum ich die Texte neu zusammengeschraubt habe. Ich habe keinen verändert, aber die Reihenfolge umgestellt. Das fand sie auch okay.

nachtkritik.de: Ist das eine allgemeine Entwicklung hin zu Textflächen, die Sie in der jüngeren Dramatik ausmachen?

Claudia Bauer: Es ist langsam wieder rückläufig, es kommen mehr Well-made-Playes auf den Markt. Aber das interessiert mich auch nicht wirklich, weil man als Regisseur zu sehr eingeschränkt ist. Das Stück braucht mich dann nicht, will nur durchexerziert werden. Eigentlich interessiert mich eine Art Chimäre zwischen hochwertigen Textflächen, die aber auf eine Entwicklung oder die Skizze einer Handlung hindeuten. Das kann eigenlicht nur die Jelinek, da sollten sich auch andere Autoren ransetzen.

Das Gespräch führte Tobias Prüwer

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