Schreiben über deutsche Provinz am Abgrund

von Michael Wolf

Heidelberg, 30. April 2018. Wenn dabei sein wirklich alles ist, hat die Vielfalt den Wettbewerb um den AutorenPreis gewonnen. Im Wettbewerb des Festivals konkurrierten starke und zudem formal erfreulich unterschiedliche Stücke. Außer Textflächen (hier setzt sich ein Trend aus dem letzten Jahr fort) war alles vorhanden: von der überbordenden Materialsammlung (Carsten Brandau) über eine an Wolfram Lotz erinnernde Diskurs-Groteske (Leon Engler) bis zu Rinus Silzles rasanter Drogenkomödie Legal Highs.

Stueckemarkt Gruppe 250Nach der Verleihung: die Preisträger, alle Autoren und das Stückemarkt-Team © Sebastian BühlerSilzle erhält den mit 2500 Euro dotierten Publikumspreis. In seiner Dankesrede sagte er, sein Stück versuche Kontakt mit dem Publikum aufzunehmen. "Toll, dass das geklappt hat!" Keine Frage, Legal Highs ist rasantes Popcorntheater. Es könnte als gänzlich unpädagogischer Stoff fürs Jugendtheater ein Hit werden. Dass die unreif daherkommenden Figuren Mitte zwanzig seien sollen, bleibt derweil die Behauptung des Autors. Aber eine Entscheidung des Publikums will man mit dieser Spitzfindigkeit selbstredend nicht kritisieren.

Konstatiert werden darf ein Gemeinplatz: Zuschauer haben gerne Spaß. Zwar hat Silzle ein wenig Sozialkritik in sein Stück geschmuggelt, die politische Haltung wirkt aber eher dramaturgisch geboten als politisch drängend. Bei ihm ist viel eher eine Freude am Stil, am Tempo zu erkennen, weniger am Thema Drogenmissbrauch, wenngleich er das interessierte Heidelberger Publikum im Anschluss an seine Lesung ausführlich über das Teufelszeug informierte.

Schatten der Vergangenheit

Inhaltlich fiel Silzles Stück ein wenig aus dem Schwerpunkt des Wettbewerbs. Da ging es viel um deutsche Geschichten und deutsche Geschichte. So auch Sören Hornungs, etwas konstruiert wirkender Familiengeschichte Sieben Geister, die sprachlich etwas abfiel im Vergleich mit der Konkurrenz. Wobei es da auch andere Meinungen gibt. Immerhin hat Hornung mit dem Stück bereits den Chemnitzer Theaterpreis gewonnen. Als einziges der Stücke im Wettbewerb steht die Uraufführung kurz bevor.

Esther Beckers Wildbestand nimmt hingegen den Schwerpunkt des letzten Jahres auf und erzählt subtil und gewitzt eine Geschichte über Flucht. Ihr Kindertheaterstück lässt sich im besten Sinne als well made play bezeichnen. Zwei von ihrer gestressten Mutter vernachlässigte Kinder stellen fest, dass ein geflüchtetes Mädchen in ihr Baumhaus gezogen ist. Liebevoll zeichnet Becker ihre Figuren, ihre Sprache ist kindgerecht einfach, und doch raffiniert und poetisch. "Das Märchen von 'Hänsel und Gretel' wird geschickt eingesetzt als Folie für eine ganz aktuelle, aber nie aufdringlich zeitgeistige Geschichte um Flüchtlingsschicksale und Solidarität", heißt es in der Laudatio der Jury, und die Szenen seien schon beim Lesen so fantasieanregend, dass eine Aufführung des Stücks nur eine Frage kurzer Zeit sein sollte. Gewonnen hat Becker aber nicht. Schade, aber nicht überraschend. Im Wettbewerb um den AutorenPreis haben es Kinder- und Jugendtheaterstücke traditionell schwer.

Siegerstück übers Abdriften eines Dorfs

Den Preis-Jury aber möchte man nicht kritisieren, denn ihre Wahl ist absolut nachvollziehbar. Ulrike Syha gewinnt mit ihrem Stück Drift den mit 10.000 Euro dotierten AutorenPreis.

Syha 250 max BuechUlrike Syha © Max Büch"Ulrike Syha hat das Drama einer Gesellschaft, in der keiner dem anderen zuhört, Familien auseinandertreiben und man Leuten, die man seit Jahrzehnten kennt, einen Mord zutraut, in die Form einer lakonischen Komödie gegossen, die vom Zuschauer genau das verlangt, was die Figuren nicht mehr können: Zuhören. Wer das tut, wird belohnt. Denn 'Drift' ist eben auch ein wirklich komisches Stück", heißt es in der Begründung der Jury.

Theaterbetriebsintern ist an dieser Entscheidung auch interessant, dass Syha sich längst als Dramatikerin und Übersetzerin einen Namen gemacht hat. Immer noch gilt der AutorenPreis vielen Beobachtern als Nachwuchsförderung. Dass auch kontinuierliche Arbeit förderwürdig ist, betonte Syha in der Preisverleihung. Nachhaltigkeit sei ein goßes Problem. Jeder, der älter als 45 sei und hauptberuflich schreibe, wisse, dass es nicht einfacher werde.

Ihr Text handelt von einer deutschen Provinz am Abgrund. Die Klippe, unter dem Dorf droht einzustürzen. Ein Sinnbild für die Fliehkräfte einer schnellen, modernden Welt, von der sich manche Region abkapseln zu wollen scheint. Die Atmosphäre ist düster, die Dialoge witzig, das Thema brandaktuell. Kein Stück zur Vergangenheitsbewältigung gewinnt, sondern eines über die Bewältigung unserer Gegenwart. Schwer genug das. Syhas Stück erklärt nicht nur, warum ein bayrischer Minister glaubt, man müsse sich jetzt unbedingt mit dem Thema Heimat beschäftigen, es lässt sogar darauf schließen, dass er mit dieser Schnapsidee womöglich sogar recht hat. So steht am Ende des Stückemarkts eine optimistische Botschaft: Die Gegenwartsdramatik ist – nicht nur auf dem Papier – sondern tatsächlich zeitgenössisch. Sie kann gesellschaftliche Themen aufspüren und schnell und intelligent darauf antworten.

 

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