Lob der Sprachkunstwerke

von Georg Kasch

Heidelberg, 30. April 2018. Die schwierigste Juryentscheidung sei der Internationale Autorenpreis gewesen, sagt Juror David Gieselmann in seiner Laudatio auf die Autorin Yeon-ok Koh. Man glaubt es ihm aufs Wort. Zum einen, weil es schwer ist, den Graben zwischen Kulturen ohne genaue Kenntnis zu überbrücken – auch nach drei Lesungen, drei Gastspielen und einer Diskussion haben wir allenfalls einen ersten Eindruck von Korea und seinem Theater bekommen. Zum anderen, weil die Übersetzungen der drei Stücke vermutlich genau, aber nicht immer sprachpoetisch waren. Kann man da treffsicher urteilen?

Die Jury entschied sich mit Das Gespür einer Ehefrau von Yeon-ok Koh für das Stück, das im deutschsprachigen Theater am ehesten anschlussfähig ist. Die Mischung aus griechischen und koreanischen Mythen mit ihrem fantastischen Realismus verhandelt in knappen Szenen menschliche Abgründe. Klar, dass sich so etwas leichter erzählen und auch adaptieren lässt als der Realismus der Streikgeschichte "Der gelbe Umschlag" und des (auto)biografischen Geschichtsstreifzugs "Chronik eines Alibis".

Starker JugendStücke-Jahrgang

Weise entschieden hat auch die Jury des JugendStückePreises. Sie konnte aus einem äußerst starken Jahrgang auswählen – und entschied sich für Sergej Gößners Mongos, das herzergreifend und voll Witz von einer ungleichen Freundschaft erzählt, sprachlich nah am Publikum bleibt und seine Botschaft ohne Zeigefinger unter die Leute bringt. Letzteres lässt sich auch von Sasha Marianna Salzmanns Zucken sagen, bei dem allerdings Sebastian Nüblings Inszenierung schon die halbe Miete ist, und von Kirsten Fuchs’ Das Heimatkleid, das bei aller klugen Lässigkeit Gefahr läuft, das jugendliche Publikum zu überfordern.

NachSpielPreis

Man kann auch verstehen, warum die Jury den NachSpielPreis an Wolfram Hölls Drei sind wir verliehen hat, den zerbrechlichsten, künstlichsten Text, gerade weil es solche Sprachkunstwerke schwer haben auf der Bühne. Also: Spot drauf, in der Hoffnung, andere Theater ziehen nach. Und ja, Vereinte Nationen von Clemens J. Setz wird seinen Weg ebenso machen wie Katja Brunners Geister sind auch nur Menschen.

Stueckemarkt Nachspielpreis 250 Sebastian BuehlerValerie Voigt-Firon (links), die Regisseurin, die Wolfram Hölls "Drei sind wir" nachinszeniert hat
© Sebastian Bühler
"Vereinte Nationen", weil es als einziger Dramentext mit Rollen und Regieanweisungen, aber auch dank seines bekannten Autors und wegen des dystopischen Themas nah dran ist an der (Theater-)Realität. "Geister sind auch nur Menschen", weil es das Altern in einer entfremdeten Pflegeheimwelt auf so bittere Weise in Sprache packt, dass es einen graust.

Höll aber schreibt verrätselt, distanziert schön und ziemlich unklar über eine Familie, die nach Geburt ihres schwerbehinderten Kindes nach Kanada auswandert, wo sie auf dessen Tod wartet, während das Leben irgendwie weitergeht. Es wandeln sich die Jahreszeiten, es fällt das Laub, es rieselt zäh die Zeit. Auch in Valerie Voigt-Firons Inszenierung, die "das Wort statt der Aktion in den Vordergrund stellt", wie es in der Laudatio heißt. Theatral ist das kein Gewinn. Da fräste sich Claudia Bauers Brunner-Inszenierung trotz Ermüdung mit ihren eindrücklichen Bildern stärker ins Gedächtnis, fand Holle Münster die gewitzteren Zitat-Bilder in ihrer Künstlichkeitsoase. Höll könne, was wenige können: "Musik machen", sagte Voigt-Firon bei ihrer kurzen Dankrede. Das allerdings kann die koreanische Band Sssing Sssing noch besser: Sie löste die Preisverleihung in einem schrägen, hypnotischen Rausch auf.

 

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