Ums Leben gerannt

von Geog Kasch

Heidelberg, 28. April 2018. Der Selbstbetrug hält bis zum Schluss. Wenn der tote Willy Loman von den sieben Zwergen mit Warnkegeln auf dem Kopf beweint wird, um dann von einem Polizisten zu Disneys "Snowwhite"-Song "One day my prince will come" ins Jenseits erlöst zu werden, dann ist das nur bedingt ein Happy End, eher ein Sieg des Konsum-Kitschs über die Wahrheit. Sein Sohn Biff aber blickt auf den leeren Platz, der eine Stunde lang Willys war – und nimmt ihn nicht ein.

Letzter Weg

Dieser Platz ist in Hyuntak Kims Arthur-Miller-Adaption "Death of a mans SALE" ein Fitnessstudio-Laufband, ergänzt um zwei weiße Scheinwerfer vorne, zwei hinten. Hier rennt Jinsung Lees ergrauter Willy buchstäblich um sein Leben, hetzt und stolpert sich als Handlungsreisender ab, schwitzt Hemd und Weste durch. Zugleich befindet er sich auf seiner letzten Fahrt in den Tod: Um ihn herum tänzeln, rennen, singen die neun Performer*innen der koreanischen Gruppe MOMent (Medea on Media entertainment).

deathofamansale1 700Auf dem Laufband: Jinsung Lee als Willy Loman in "Death of a MAN sale" © MOMent

Mit zahllosen Kostümen und Requisiten, die Verkehrsschilder und Popkultur zitieren, schlüpfen sie in alle anderen Rollen: Willys Geliebte tragen Socken in den Ampel-Farben Rot, Grün, Gelb, Willys Bruder Ben steht als Rest-Stop-Cowboy am Wegesrand, Willys Chef trägt die Maske des Kentucky-Fried-Chicken-Manns. Einmal rasen alle bei Biffs Football-Spiel um die Wette, jagen vor, lassen sich zurückfallen, eine echte Hatz ist das. Und wenn Willy mit Linda die anfallenden Kosten durchgeht, dann werden sie von einem Entfernungsschild aufsummiert.

Rasante Hollywood-Traumwelt

Es ist alles da in Hyuntak Kims einstündiger Digest-Fassung von Millers Drama "Tod eines Handlungsreisenden", Konflikte, Themen, Schmerzpunkte. Für Willys doppeltes Scheitern (am Selbstbetrug wie am amerikanischen Traum) steht hier Hollywoods Traumwelt in immer neuen Zitaten entlang der Straße, zwischen "Country Road" und "Imagine" (wo dann die Performer wie die Beatles über die Fahrbahn laufen), "The Wizzard of Oz" ("Follow the Yellow Brick Road") und dem "Batman"-Joker.

deathofamansale2 700Sing me a Song of Wonderland: "Death of a MAN sale" © MOMent

Unendlich scheinen die Ideen und Bezüge, wenn die amerikanische Ampel-Ansage "Walk / Don’t Walk" zu "Work / Don’t Work" wird, Tänzer mit Geschwindigkeitsbegrenzungsschildern statt Nummern übers Parkett sausen und sich Willy am Ende gegen Biff unter einer Bullenmaske knallt, der das Schild "Buffalos Crossing" trägt.

Das geht alles auf, ist rasant und hinreißend choreografiert, ein nicht enden wollender Taumel an zirzensischen Einfällen und Zitaten, die an die frühen Arbeiten Viktor Bodós erinnern. Dass die aus dem US-amerikanischen Kulturkreis stammen und uns entsprechend nahe sind, mag dazu beitragen, dass der Funke beim Heidelberger Gastspiel sofort überspringt – trotz des Pathos, des oft überdrehten Schreiens, der Lautstärke insgesamt.

Hoffnung stirbt zuletzt

Während in den Stückelesungen am Nachmittag deutlich wurde, wie fremd die koreanische und die deutsche Kultur einander in vielen Details sind, ist uns dieser schwitzende, die Worte mühsam herausschleudernde Willy erstaunlich nah. Gerade dann, wenn einem der Kopf zu schwirren beginnt vom Unterhaltungs-Overkill auf dem schmalen Bühnenstreifen zwischen zwei Tribünen (fast fühlt man sich wie in einer Rennkurve), bremst der Abend: Als Willy mit seiner Schuld daran konfrontiert wird, dass Biff aus der Bahn geriet, stolpert er, strauchelt, fällt.

Später wendet er sich direkt an uns, grüßt freundlich, erzählt davon, dass er seit 17, 18 Jahren in seinem Beruf arbeitet: "Hat das eine Zukunft?" Wenn er dann davon spricht, noch sähen und einen Apfelbaum pflanzen zu müssen, dann greift plötzlich das, was im Spektakel lange zu kurz kommt: das Mitgefühl mit einem, der nicht aus seiner Haut kann.

Death of a mans SALE
von Hyuntak Kim nach Arthur Miller
Regie: Hyuntak Kim, Mitarbeit: Dongwoo Hwang, Licht: Hyemin Park, Deahyeon Ji, Übertitel: Sooeun Lee.
Mit: Jinsung Lee, Seong Seokjoo, Miok Kim, Yonghee Jung, Hyungsub Kim, Kyounghwa Kwak, Yerim Jo, Kayeon Lee, Taehun Kim, Minwoo Han.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

 

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