Engagiert Partei ergreifen

von Verena Großkreutz

Heidelberg, 28. April 2018. So nah dran kann Theater sein: Da schaut die ganze Welt verzückt auf den Friedensgipfel zwischen den beiden koreanischen Staaten, da kommt eine 50-köpfige Delegation von der ostasiatischen Halbinsel nach Heidelberg, wo Südkorea Gastland des Stückemarkts ist. Die Entwicklungen in Richtung Wiedervereinigung sind so turbulent, dass die Berliner Korea-Expertin, die zur Eröffnung des Gastlandprogrammes einen Einführungsvortrag über die Theatergeschichte Südkoreas halten sollte, wegen medialer Kommentaraufgaben absagen musste.

Für sie sprang kurzfristig Heyryun Koh ein, Gastprofessorin an der Universität Heidelberg. Koh sprach zwar nicht übers Theater, dafür über "Hallyu", die sogenannte Koreanische Welle, die, so Koh, die derzeit weltweit wachsende, mehr und mehr auch nach Europa überschwappende Popularität der südkoreanischen Pop-Kultur (K-Pop) bezeichne.

K-Pop, K-Bang, K-Dramas Made in Südkorea

Überrascht, aber sehr erfreut zeigte sich die Humor versprühende Professorin darüber, dass in Deutschland doch tatsächlich ein Magazin zum Thema erscheine: "K*Bang“ heißt die Zeitschrift, benannt nach der südkoreanischen Boygroup Big Bang. Darin wird über die heißesten K-Pop-Newcomer berichtet, über neue koreanische TV-Serien (K-Dramas) und alles andere Made in Südkorea: von Kosmetikartikeln über schicke Modetrends bis hin zu innovativen Technologien.

Die drei Stücke südkoreanischer Theaterautor*innen, die um den Internationalen Autorenpreis wetteifern, zeigten sich dann deutlich sozialkritisch, nehmen sie doch aktuelle gesellschaftliche Probleme aufs Korn – ob es sich dabei um die langen Schatten der Vergangenheit handelt, die Korea-Krieg, Militärdiktatur oder das Massaker von Gwangju 1980 noch immer werfen (erst seit dem Ende der 1980er Jahre hat das Land mit dem Übergang zur demokratischen Republik politische Stabilität gewonnen), oder um die Konflikte zwischen den Generationen, den Geschlechtern, Arbeitern und Firmenbesitzern. Gelesen wurden die Stücke von Heidelberger Ensemblemitgliedern in deutschen Übersetzungen von Jan Creutzenburg.

"Der gelbe Umschlag" von Yanggu Yi

In "Der gelbe Umschlag" ergreift Autor Yanggu Yi engagiert Partei für die ausgebeuteten Arbeiter seines Landes − Opfer des Wirtschaftsbooms. Das ist sympathisch. Ein so vehement politisches Theater ist man hierzulande ja nicht gewohnt. Das Stück handelt vom Scheitern eines Arbeitskampfes, den Arbeiter einer Autoteile-Fabrik 2014 in einem Vorort von Seoul führen. Etliche von ihnen sind schon entlassen worden. 60 Tage Streik werden von der Firmenleitung mit einem Prozess um horrende Schadensersatzforderungen beantwortet. Die gelben Umschläge, die den Arbeitern zugestellt werden, wechseln im Laufe des Stücks ihren Inhalt: Einst monatliche Lohntüte übermitteln sie zunächst fristlose Kündigungen, dann Aufforderungen zum Beitritt in die Firmen-Gewerkschaft. Später überbringen sie Testamente jener Menschen, die nach und nach den Freitod wählen.

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© Susanne Burkhardt

Ins Geschehen hinein bricht die lähmende Nachricht vom Untergang der Passagierfähre "Sewol" am 16. April 2014 (auch so ein koreanisches Trauma). Das furchtbare Unglück überlebten nur 174 der 476 Menschen an Bord, darunter 325 Schüler*innen auf Klassenfahrt. Auch sie waren Opfer rein wirtschaftlicher Interessen, denn Unfallursache war auch der illegale Umbau des Schiffes zwecks Erhöhung der Transportkapazität.

Yis Stück ist Doku-Theater im besten Sinne. Wie das Schiffsunglück ist auch besagter Arbeitskampf historisch verbürgt. 26 Arbeiter begingen damals Suizid, erklärt Yanggu Yi – ein Künstler, der sich auch außerhalb des Theaters politisch engagiert. So beteiligte er sich am Kampf gegen die "Schwarzen Listen", die Kulturministerin Cho Yoon Sun einst führte: Den darauf gesammelten regierungskritischen Künstlern verweigerte sie staatliche Fördergelder – ohne dass die Betroffenen von diesen Listen wussten. Cho Yoon Sun wurde wegen dieses Amtsmissbrauchs kürzlich zu zwei Jahren Haft verurteilt.

"Chronik der Alibis" von Jae-Yeop Kim

Ein komplexes, auch szenisch anspruchsvolles Stück bot sich in der Lesung von "Chronik der Alibis" von Jae-Yeop Kim (*1973), der darin die jüngste Geschichte seines Landes aufarbeitet. Dabei bedient er sich autobiographischer Ansätze. Im Mittelpunkt steht das Schicksal seines Vaters, der in Japan aufwuchs, Soldat wurde, nach dem zweiten Weltkrieg in seine Heimat Korea zurückkehrte. Koreakrieg und Diktaturen überlebte er, ideologische Kämpfe interessierten ihn nicht, er zog sich als Englischlehrer in die Provinz zurück. Sein Lebensgeheimnis − sein Alibi − verrät er seinem Sohn erst am Ende seines Lebens, schon unheilbar krank: Er desertierte einst aus dem Kriegsdienst, blieb aber im Zuge der politischen Wirrnisse dieser Zeit unbehelligt.

"Egal wann, du musst immer auf der Seite der Mehrheit stehen", ist sein Lebensmotto, getrieben vom Willen, seine Familie zu schützen: "Das allein ist in einer unsicheren Gesellschaft wie der unseren entscheidend. Was richtig und was falsch ist, das ist nicht so wichtig." Das sehen die Söhne anders. Kims älterer Bruder nimmt in den 1980er Jahren als Student an den Demonstrationen der Demokratiebewegung teil. Die wurde durch das Massaker von Gwangju ausgelöst: Bei Demonstrationen gegen das autoritäre Regime im Mai 1980 erschoss das Militär über 2000 Menschen. Eine wechselvolle (Familien-)Geschichte, die Jae-Yeop Kim gekonnt in schnell getakteten, von geschmeidigen Rollenwechseln befeuerte Szenen umgesetzt und mit Kommentaren, Video-, Bild- und Text-Projektionen angereichert hat.

"Das Gespür einer Ehefrau“ von Yeon-ok Koh

Dagegen beginnt "Das Gespür einer Ehefrau" von Yeon-ok Koh (*1971) wie ein Märchen: Ein Mädchen verirrt sich im Wald und wird von einem Bären gerettet. Die beiden werden ein Paar und zeugen ein Kind. Aber bald wendet sich die Geschichte zum modernen Albtraum. Ein Jäger taucht auf, tötet das Kind und bringt die Frau zurück in die vermeintlich menschliche Zivilisation, die sich aber bald als die eigentliche Sphäre des Bestialischen entpuppt: Ihre Mutter zeigt keinerlei Gefühle, die Arbeitswelt ist auch hier von Ausbeutung, Unterdrückung, Übergriffigkeit geprägt, ihr Mann betrügt und vergewaltigt sie. Am Ende wird sie zur Mörderin ihrer Kinder.

Das Geschehen entfaltet sich in 17 prägnanten, oft kurzen Dialog-Szenen. Inspirieren ließ sich die Autorin einerseits vom griechischen Mythos der amoklaufenden Medea, andererseits vom koreanischen Schöpfungsmythos: Demnach wurde der erste König als Kind eines Tigers und eines Bären geboren. Es sei ihr beim Schreiben, so Yeon-ok Koh, nicht so sehr um die Darstellung des Geschlechterverhältnisses in ihrem Land gegangen als vielmehr um die Frage, was eine Mutter dazu treibe, ihr eigenes Kind zu töten.

 

Der gelbe Umschlag
von Yanggu Yi
Aus dem Koreanischen von Jan Creutzenberg
Gelesen von: Lisa Förster, Steffen Gangloff, Dominik Lindhorst-Apfelthaler, Sophie Melbinger, Katharina Quast, Hendrik Richter, Andreas Uhse.

Chronik der Alibis
von Jae-Yeop Kim
Aus dem Koreanischen von Jan Creutzenberg
Gelesen von: Nicole Averkamp, Benedict Fellmer, Hans Fleischmann, Raphael Gehrmann,
Marcel Schubbe, Olaf Weißenberg, Martin Wißner, Stefan Wunder.

Das Gespür einer Ehefrau
von Yeon-ok Koh
Aus dem Koreanischen von Jan Creutzenberg
Gelesen von: Marco Albrecht, Steffen Gangloff, Sophie Melbinger, Katharina Quast,
Hendrik Richter, Christina Rubruck, Andreas Uhse, Olaf Weißenberg.

 

Mehr über Südkorea im Theaterbrief von Jan Creutzenberg