Romeo ist eine Frau

von Michael Wolf

Heidelberg, 30. Mai 2018. Am Nachmittag beim Theaterlunch, der Podiumsdiskussion mit koreanischen Theatermachern, lernte das deutsche Publikum etwas Neues: Der Grenzkonflikt zwischen Nord- und Südkorea ist für die Südkoreaner im Alltag kein großes Thema. Was im Westen nicht ankommt: Das Land hat (auch noch) andere Probleme, zum Beispiel Homophobie.

So inszeniert Jung-Ung Yangs Shakespeares "Romeo und Julia" nicht vor der Schablone eines nationalen Bruderkriegs, sondern als Überlebenskampf einer gleichgeschlechtlichen Liebe. Das Konzept beruht auf einer denkbar einfacher Setzung: Romeo wird hier von einer Frau gespielt.

Knalliges Maskenspiel

In der Einführung warnte Regisseur Jung-Ung Yang: Seine Version des Stoffs könnte ein Schock für das Publikum sein. Der Dolmetscher ist etwas überfordert. Deswegen ist nicht ganz klar, ob er das ernst oder ironisch meinte. Denn was Jung-Ung Yang zeigt, verschreckt nicht, sondern ist eher gefällig: verspielt, bunt, knallig und vollgestopft mit popkulturellen Zitaten.

RomeoandJuliet1 700Quietschbunte Bühnenwelt in "Romeo und Julia" © Yohangza Theatre Company Seoul

Mercutio, der von einem kleinwüchsigen Schauspieler gegeben wird, trägt eine Bob Marley-Gedächtnisfrisur auf dem Kopf. Faustkämpfe sind Tarantino-Filmen entnommen und als sich Romeo und Julia zum ersten Mal sehen, schmalzt eine Cover-Version von Radioheads "Creep" aus den Lautsprechern.

Psychedelisch wegversetzt

Für Atmosphäre ist die riesige Leinwand im Hintergrund der roten Bühne zuständig. Gesichter im Close-Up mit der Handkamera abgefilmt sorgen dafür, dass psychologisch doch noch etwas sichtbar wird von der Liebe und dem Hass, um die sich dieses Stück von Shakespeare dreht, wenn es nicht – wie hier – NACH Shakespeare gegeben wird. Ist Dramatik gefragt, gibt es Donner und Blitze, wenn Julia das Schlafmittel nimmt, psychedelisches Farbenspiel.

Die Abwehr und der Ekel vor homosexueller Liebe kommt derweil harmlos und pubertär daher: Mercutio schlägt Julias Onkel mit in die Flucht, indem er droht, ihn auf den Mund zu küssen. In der Hochzeitsnacht ziehen sich die beiden Damen bis auf die Unterwäsche aus, um sich gegenseitig Lippenstift ins Gesicht schmieren. Paris windet sich in einem hysterischen Schreikrampf, als er merkt, dass seine Verlobte nicht nur tot, sondern auch lesbisch ist.

Botschaft kommt an

Das Konzept ist durchaus interessant und zunächst beeindruckt die Inszenierung mit der respektlosen Anverwandlung des Stoffs. "Ich bin keine Capulet mehr. Ich bin niemand mehr. Ich bin einfach verschwunden", gesteht Julia Romeo ihre Liebe. Klar, die Liebe macht mit allen Unterschieden Schluss. Die Krux: Diese Botschaft kommt aber eben auch schon in der ersten halben Stunde an. Die eineinhalb folgenden ziehen sich ganz schön. Auch wegen all der kleinen Witze, wie dem, dass ein Paketbote von DHL den Brief an Romeo verschlampt, in der sie ihm mitteilt, dass das doch alles nur Fake ist mit ihrem Tod.

Womöglich ist dieser Shakespeare ein befreiender, ein mutiger Abend in Südkorea, sollte homosexuelle Liebe dort auch im Theater des Jahres 2018 nicht thematisiert werden. Die gute Nachricht für uns lautete dann: Von sowas lassen wir uns nicht schocken. Die schlechte Nachricht: Auch wir haben andere Probleme.

Romeo and Juliet
nach William Shakespeare
Yohangza Theatre Company Seoul
Regie: Jung-Ung Yang, Künstlerische Mitarbeit: Dae-Woong Lee, Assistenz: Su-Jeong Kim, Spielleitung: Sang-Hoon Kim, Bühne: Eun-Kyu Lee, Licht: Sung-Gu Kim, Ton: Hyung-Rok An, Video: Jangyeon Kim.
Mit: Chan-Hui Cho, Kyoung-Hoon Choi, Beom-Jin Kim, Eun-Hee Kim, Ho-Jun Kim, Sang-Bo Kim, Yu-Young Kim, Eun-Hye Kwon, Hwa-Jung Lee.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

 

Zur "Theaterlandschaft Südkorea" von Jan Creutzenberg

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