Sturz der Präsidentin

von Georg Kasch

Heidelberg, 29. April 2018. Am Ende wird es plötzlich spannend. Da sagt ein koreanischer Herr aus dem Publikum, der sich später als Mitarbeiter des Goethe-Instituts herausstellt, dass Theater in Korea nicht nur Krisenmesser sei, sondern auch ein Zurückblicken ermögliche. Warum also spreche man hier immer nur über Theater, das Korea kritisiere? Scharf fragt Autor Yanggu Yi (sein Stück Der gelbe Umschlag wurde gestern vorgestellt) zurück, ob der Herr denn eine der Aufführungen gesehen habe, die auf der schwarzen Liste der Vorgängerregierung standen und deshalb nicht gespielt werden durften. Plötzlich verstummt der Übersetzer, stattdessen prasseln die Argumente Schlag auf Schlag, kurze, harte Sätze. Da vibriert eine Aggression in der Luft, wird zum ersten Mal klar: Hier geht es um etwas.

Im Schwarzen Zelt Januar 2017 

Aber um was? Ziel des Theaterlunchs ist es wie jedes Jahr, mehr über das Stückemarkt-Gastland zu erfahren. Auf der Bühne sitzen neben Autor Yi die Dramaturgin Kanghee Jeon (die bei "Before After" mitarbeitete) und HeeJin Lee, die zusammen mit Jürgen Berger als Scout die koreanischen Stücke und Produktionen ausgewählt hat. Der wiederum zusammen mit der Heidelberger Dramaturgin Lene Grösch die Runde moderiert. Lange erfährt man wenig, was über den ausführlichen Essay Jan Creutzenbergs hinausginge, Vertiefungen eher als völlig neue Einsichten.

Es gibt in Korea eine kleinere, schlechter ausgestattete Theaterinfrastruktur als in Deutschland, staatliche Förderung ist in erster Linie projektgebunden, daneben finanzieren sich viele freie Gruppen über Mäzene aus der Wirtschaft. Theaterhauptstadt ist Seoul, das ein Theaterviertel mit etwa 150 Theatern besitzt. Weit verbreitet ist Theater vor allem insofern, als dass die Koreaner begeisterte Laienspieler sind – auch auf dem Land, wo es kaum eine professionelle Infrastruktur gibt.

Natürlich sprach die Runde über die prägenden Zäsuren der letzten Zeit: über den Skandal der Schwarzen Liste, auf der etwa 10.000 Namen von Künstler*innen standen, die der Vorgänger-Regierung unbequem erschienen, die damit Förderungen verloren, ihre Stücke aber oft dennoch zeigten – etwas im Schwarzen Zelt als Teil der Demonstrationen gegen Präsidentin Geun-hye Park und so zu ihrem Sturz beitrugen.

Reformen zugunsten jüngerer Theatermacher

Oder #MeToo: Missbrauchsskandale wurden vor allem in der bildenden Kunst schon ab 2016 aufgedeckt und weiteten sich auch aufs Theater aus. Das besitzt zwar eher Freie-Szene-Strukturen. Da aber gerade in der Kultur oft noch traditionelle Meister-Schüler-Strukturen herrschen und die wichtigen Regisseure zugleich an den Hochschulen lehren, dort wiederum ihre Schauspieler*innen und Mitarbeiter*innen rekrutieren, entstanden Abhängigkeiten, die Ausbeutung und sexuelle Übergriffe begünstigten.

Gastland Theaterlunch 250In Diskussion, auf dem Foto: Jürgen Berger, HeeJin Lee, Yanggu Yi, Lene Grösch © gekaDeshalb wurden die Skandale zum Anlass genommen, das oft konservative Theaterverständnis dieser Regisseure zu hinterfragen, während die Untersuchungskommission zur Schwarzen Liste gerade die staatliche Subventionskommission abschafft und zugleich die Strukturen verbessern will, vor allem zugunsten der jungen Theatermacher*innen.

Natürlich wurde auf dem Theaterlunch nach dem Nord-Süd-Konflikt gefragt, der im Alltag offenbar kaum eine Rolle spielt. Sicher auch deshalb, weil direkter oder auch indirekter Kontakt mit dem Norden im Süden unter Strafe stehen kann und Theatermacher, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, sich schnell in der Kommunisten-Ecke wiederfinden. Autor Yi erzählt, dass er den Eindruck habe, die Menschen würden schon gerne über den Konflikt sprechen, auch die atomare Bedrohung, trauten sich aber nicht.

Heiße Eisen werden angefasst

So richtig klar wurde allerdings nicht, welche Bedeutung Theater in Korea hat, zumal die kommerziellen Großproduktionen nur am Rande erwähnt wurden. Autor Yi immerhin erzählt, dass er immer gedacht habe, seine Kunst werde nicht wahrgenommen. Bis zum Skandal um die Schwarze Liste. Da sei ihm klargeworden, dass es in Korea doch eine starke Aufmerksamkeit für das Theater gibt.

Nach so vielen Problemfeldern war die Frage des älteren Herrn in mehr oder weniger offizieller Mission verständlich, schließlich prägt das, was hier gerade in Heidelberg gezeigt und diskutiert wird, bis auf Weiteres unseren Blick auf koreanisches Theater. Und schließlich steckt Südkorea ordentlich Geld in diesen Austausch. Muss man also die ganze Zeit schmutzige Wäsche waschen, wenn es doch zahllose Stücke und Produktionen gibt, die in erster Linie Kunst machen, berühren und unterhalten wollen? Schade, dass das nicht mehr ausdiskutiert wurde am Ende der 90 Minuten, die immerhin zeigten: Seine gesellschaftliche Bedeutung gewinnt das Theater auch in Korea immer dann, wenn es die heißen Eisen anpackt, über die Bühne hinausweist und so mitunter direkte gesellschaftliche Folgen hat.

Theaterlunch Südkorea
Diskussion mit: Yanggu Yi (Autor), Kanghee Jeon (Dramaturgin), HeeJin Lee (Gastland-Scout für den Stückemarkt), Moderation: Jürgen Berger (Journalist), Lene Grösch (Theater Heidelberg)

 
Zum Essay über die südkoreanische Theaterlandschaft

 

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